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Die Kraft des Selbstausdrucks

Immer schon hat der Mensch seinem Dasein mittels künstlerischen Prozessen Raum und Ausdruck gegeben - weit über die Gestaltung des Nützlichen von z.B. Werkzeugen hinaus. Dieser Prozess ist ein selbst entdeckter Weg zu etwas Neuem, und gleichzeitig immer auch ein Weg zum eigenen Selbst, ist Ausdehnung und Fokussierung auf die eigene Essenz gleichzeitig. Ich berufe mich in diesem Prozess auf meine innere Empfindungsfähigkeit, die mich in meinem besten Sinne leitet und an Orte führt, die mein linearer Verstand nicht antizipieren kann. Ich vertraue auf meine Phantasie und Intuition. Hier lösen wir uns von den repetitiven Mustern des Verstandes. Ich bin gefordert, mich etwas in meinem Inneren zu öffnen, das ich nicht kenne, und das doch Teil ist von mir. Dies ist die Kraft des kreativen Selbstausdrucks: Sich stark fühlen - im Sein. Und wenn wir sind, erschaffen wir!

Ganz automatisch. Nur müssen wir wieder lernen, wirklich uns selbst zu sein.

Etwas ausdrücken heißt, etwas Neuem Leben einhauchen. Aus einem Klumpen Ton wird ein Gesicht, ein Tier, ein Gefäß. Aus Bewegung wird Geschichte, aus Wort wird Gefühl ... Es gibt in deinem Reich des Selbstausdrucks keine Vorschriften oder Einschränkungen, und keine Gebrauchsanweisungen - ausser du bestehst darauf. Wir tauchen ein ins Feld der nichtlinearen Möglichkeiten. Dies ist unser symbolischer, unendlicher Raum in und um uns, darauf wartend, zum Leben erweckt zu werden. Damit werden wir zu Schöpfern. In dieser Präsenz, aus unendlich vielen Optionen auszuwählen, erfahre ich mich selbst lebendig, wach und unmittelbar.

Fantasievoller Umgang mit der Wirklichkeit, die Fähigkeit zu staunen, neugierig zu sein, zu lernen und neue Formen des Umgangs mit Erlebnissen und Ereignissen des täglichen Lebens zu finden, ist eine Grundbedingung für seelisches Wachstum und psychische Gesundheit.

Authentizität Es ist wichtig, dass wir uns im täglichen Leben authentisch äußern können und unseren persönlichen Raum einnehmen. Hier liegt ein bedeutsamer Bereich des individuellen und kollektiven Selbstausdrucks. Hier darf alles, was wir fühlen und empfinden, sichtbar, hörbar und sogar für andere Menschen erlebbar gemacht werden. So bleiben wir stets in unserer Kraft, die Energie verlässt uns nicht. Und wenn wir dies tun, geben wir automatisch allen anderen Menschen in unserem Umfeld die Erlaubnis, ihr authentisches Selbst auszudrücken. Wenn ich aber meine Authentizität in mir selbst unterdrücke, dann muss ich dies auch bei meinem Gegenüber tun, was natürlich zu erheblichen Problemen führt. Dies gilt für jede Art von zwischenmenschlichen Beziehungen: für Eltern-Kind-Beziehungen, Liebesbeziehungen, Geschäftsbeziehungen oder für politische Beziehungen zwischen Ländern und Kontinenten. Jedes Wort hat eine bestimmte Energie, hat Wirkkraft, kann besänftigen oder hochgradig alarmieren. Jede Geste, jedes Werk strahlt fühlbare Energie aus. Deshalb ist Kunst gefährlich, und viele fürchten die mutigen Akteure der Kunst und wollen sie kontrollieren. Deshalb kontrollieren auch wir unbewusst unseren Selbstausdruck (z.B. Ai WeiWei). Wenn ich meinen Ausdruck anpasse an etwas im Außen, das nicht authentisch ist und was mich von mir selbst wegträgt, mache ich mich kleiner, als ich eigentlich bin, und verliere einen Teil von mir selbst. Es fasziniert mich immer wieder tief, zu erleben wie jeder künstlerisch tätige Mensch eine ganz eigene gestalterische Sprache spricht. Wie eine klare Handschrift webt sich diese Sprache durch seine Werke. Hier wird deutlich, wie verschieden wir alle in unserem Wesen sind. Ist dies nicht bereits Ausdruck großer Autonomie, die auf unsere Eigenheit und Einmaligkeit verweist? Ich finde es wunderbar, die Eigenständigkeit von Kindern und Erwachsenen in ihren Werken zu sehen, und sie darin zu bestärken. Mit dem authentischen Ausdruck nähern wir uns unserer schöpferischen Quelle. Unsere eigene, innere Sonne (= Leidenschaft, Freude) zeigt uns stets den Weg, wie wir in unsere Kraft kommen, sie ist unser Leitstern. Wir leben noch nicht alle unsere Potentiale, doch wir können diese im symbolhaften Ausdrucksraum antizipieren: Wie ist es, wenn ich mich nicht zurückhalte, einschränke, verbiege, bewerte? Wie kann ich authentisch handeln? Wir sollten mit unseren Kreationen* zu spielen beginnen, anstatt unsere Schöpfungen zu kontrollieren oder zu verstecken. Und wenn wir sie kontrollieren oder verstecken, können wir uns fragen, was uns am Ausdruck hindert. Etwas für sich selbst tun und kreieren ist heilsam. Etwas kreieren heißt: Sich selber die Freiheit erlauben, sich mit dem phänomenologischen Symbolraum zu verbinden und darin etwas ganz Eigenes entstehen zu lassen, das Teil von mir ist und in seiner energetischen Verbundenheit mit mir immer sein wird.

*Kreationen Neben allem, was wir im klassischen Sinne unter Kreationen verstehen (Bilder, Skulpturen, Fotografien, Drehbücher, Strickpullover etc.) sind auch unsere alltäglichen Handlungen Kreationen. Sogar Gedanken sind Kreationen, genauso wie die Worte, die aus meinem Mund kommen - ganz zu schweigen von einem Gespräch, das ich mit einer Person führe. Wie viele Gespräche wären möglich mit ein und derselben Person? Unendlich viele, je nach dem, wie beide Gesprächspartner ihren Fokuspunkt setzen, und den jeweiligen Gesprächsfaden wieder aufnehmen. Was sage ich, und was sage ich lieber nicht? Kreationen beruhen auf Entscheidungen. Was ist mir wichtig? Berufe und Beziehungen sind Kreationen. Pädagogische Grundlagen, psychologische Disziplinen, sogar wissenschaftliche Untersuchungen sind Kreationen. Wie wende ich als ExpertIn eine Methode an? Es existieren gleichzeitig wohl tausende von Möglichkeiten, wie ich einen Arbeitsprozess gestalte. Auf was berufe ich mich? Auf die gelernten Modelle und die Erfahrung derer Anwendungen. Auf meine Intuition - meine inneren Empfindungen.

Wie ich mein Fachwissen einsetze, hängt sehr wohl auch von meinen schöpferischen Qualitäten ab. Wir sind täglich eingeladen, uns

unserer innewohnenden Kreativität und schöpferischen Seite zu öffnen. Alle Modelle sind selbst kreierte Konzepte von anderen Menschen. Nichts ist uns von einer „höheren, weit entfernten und gottgegebenen Macht“ hinuntergereicht worden. Nichts ist in Stein gemeißelt. Was für eine Befreiung! Dies meint, dass wir alle unsere eigenen Methoden und Rezepte schaffen, - sowieso. Je mehr Vertrauen ich in mich selbst und in meine Fähigkeiten setzen kann, desto autonomer und freier kann ich sein. Koche ich nach Rezept, oder mit meiner Intuition? Beide Menus können großartig werden oder misslingen. Ich fühle mich aber irgendwie mehr mich selbst, wenn ich mit meiner Intuition zusammen koche. Ich glaube, dass viele Menschen sich ihrer wahren Fähigkeiten gar nicht bewusst sind, weil sie automatisch ein Rezept oder eine Gebrauchsanweisung haben wollen. Bei einem technischen Gerät macht dies viel Sinn, bei der Lebensgestaltung eher weniger. In alten Zeiten lebten viele Völker in Verbundenheit und Kommunikation mit allem, was sie in sich und um sich herum phänomenologisch und energetisch wahrnehmen konnten, und nutzten auf diese Art und Weise die sich ihnen bietenden Möglichkeiten des symbolischen Raumes, um ihr Leben zu gestalten. Verschiedene Prozesse des kreativen Ausdrucks waren ein unersetzlicher Teil und formgebend für alle Aspekte des (gemeinsamen) Lebens. Schamanen reisten in die Anderswelten, um Geister zu beschwichtigen oder sie um Rat zu fragen, für sich oder für jemanden aus der Gemeinschaft. Die Native Americans gestalteten Zeremonien mit komplexen Tanzsequenzen, die die Balance in ihrer Gruppe auf verschiedenen Ebenen gewährleisten sollte. So diente z.B. der Brush Dance als wichtige Heilzeremonie für erkrankte Kinder. Andere rituelle Tänze hatten andere Heilwirkungen. Ich meine nicht, dass wir heute wie die alten Ägypter ständig Opfer für die Toten darbringen müssten, um die Götter zu beschwichtigen. Oder dass wir ständig hawaiianische Vergebungsrituale rezitieren sollen. Doch die Dynamik dieser Handlungen macht Sinn, wenn wir davon ausgehen, dass nichts in der Welt geschehen kann, ohne dass das Geschehene eine Wirkung und eine Resonanz auf den Betrachter hat. Ausdruck und Inhalte mögen variieren, doch war allen alten Kulturen das große Wissen um diese machtvollen Wechselwirkungen bekannt, und sie schöpften die Spielmöglichkeiten innerhalb dieser gewaltigen Spiel- oder Symbolräume aus.

Our unlimited Potential "The great star we call our sun holds us in his influence as we float along on mother earth, spinning in cycles within this black celestial sea of nothingness. In all this we feel our own sense of place, surprisingly secure, cradled between her and the all-covering father sky. Our physical realities dwell here, limited and confined to these human forms, with the exception of that part of ourselves that connects us, as with the silken strands of a spider‘s web, to all things, great and small, and provides us the gift of potential we have within to expand and explore."

Gabriel Horn: „The Book of Ceremonies: A Native Way of Honoring and Living the Sacred“

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